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„Ihr Schläfer, wachet aus der Ruh“

Der frühere Brauch des Klapperns während der Kartage in Hornau

Von Reinhold Reuss

Bis in die 1960er Jahre hinein gab es in Hornau - wie in vielen anderen Gemeinden auch - den Brauch des Klapperns während der Kartage. Den Kindern erzählte man damals, dass in dieser Zeit die Glocken nach Rom geflogen seien. Es gab von dieser Legende im Volksbrauchtum zwei Versionen: zum einen hieß es, die Glocken müssten in Rom die Beichte ablegen und den Tod Christi betrauern. Die andere Variante besagte, dass die Glocken in Rom neu geweiht würden. Wie auch immer: nach dem Gründonnerstags-Gottesdienst verstummten die Glocken und die Altarschellen bis zur Osternacht, und ihre Funktion wurde von den hölzernen Klappern und Holzdrehratschen übernommen.

Christuskopf, Arbeit von Norbert Klarmann

Wie alt diese Tradition ist, weiß man nicht genau; im Rheinland ist der Brauch bereits für das 19. Jahrhundert belegt. Im Heimatmuseum der Gemeinde Kriftel wird eine Ratsche aufbewahrt, auf der die Jahreszahl 1919 zu lesen ist. Der im Jahr 2014 verstorbene Vorsitzende des Vereins Bürger für Hornau, Dieter Trippe, besaß eine Sammlung historischer Ratschen, die er aus dem Sperrmüll geholt oder auf Flohmärkten gefunden und wieder repariert hatte; außerdem baute er als gelernter Schreinermeister Ratschen nach altem Vorbild nach. Er war es auch, der gemeinsam mit Gerhard Niegemann versuchte, den alten Brauch in Hornau wieder aufleben zu lassen, was leider bis heute nicht wieder gelungen ist.

Der Hornauer Dieter Trippe sammelte Osterratschen

Die Technik der Klappern war recht einfach. Auf einem etwa 20 cm langen HoLzstock wurde ein Brett befestigt, in das mit einem Gewinde ein hammerähnlicher Keil eingelassen wurde. Durch schwingende Bewegungen konnte man mit diesem Gerät einen ziemlichen Lärm erzeugen. Der Bau der Ratschen erforderte größere handwerkliche Fähigkeiten. In einen Holzkasten wurden mehrere Bretter eingelegt, die an einem Ende mit einer Walze unterlegt wurden. Die Walze war mit hölzernen Noppen besetzt. Eine Kurbel setzte die Walze in Bewegung, wobei die Bretter durch die Noppen angehoben wurden und mit großem Getöse wieder in den Kasten zurückschnellten.

Die Ratschen wurden in den Familien von Generation zu Generation weitergegeben, und da es in Hornau viele Schreiner gab, bauten die Väter die Ratschen für ihre Söhne oft selbst. Die meisten allerdings stammten vom Schreiner und Landwirt Heinrich Bender (genannt „der Spanier“) aus der Hornauer Vordergasse. Sein Ruf als Ratschenbauer war legendär. Meine Klapper hatte allerdings der Schreiner Arthur Körner aus der Hornauer Straße gebaut.

Friedel Bender erzählte mir, dass sich in seiner Kindheit die Buben morgens vor sechs Uhr an der alten Hornauer Kirche trafen und dann gemeinsam zur weißen Madonnenstatue in der Hornauer Straße gingen. Als ich in den 1950er Jahren Klapperbub war, begann der Weg direkt an der Marienstatue in der Hornauer Straße und führte durch den ganzen Ort bis zum Wegkreuz an der Hornauer Hohl.

Hornauer Klapperbuben auf einem Foto aus den 1920er-Jahren

Auftakt des Klapperns war am Karfreitag morgens um sechs Uhr. Die Buben nahmen Aufstellung, und dann ging es los! „Ihr Schläfer, wachet aus der Ruh“ sangen wir, begleitet vom rhythmischen Schlagen der Klappern, wobei immer zwei kurze und drei lange Schläge schnell aufeinander folgten. Der gleiche Takt galt auch für die Ratschen, die durch das Drehen der Kurbel in Gang gesetzt wurden. Das Zusam­men­spiel von Klappern und Ratschen erzeugte einen wahren Höllenlärm! Angeführt wurde die Gruppe vom so genannten Klap­per­vadder, meist war dies der dienstälteste Messdiener. Damals kursierte der Spruch „Die Ratschen machen groß Geknatter, vorweg geht hier der Klappervadder“. Das Wissen, was ein „Klapper­vadder“ ist, geht, wie so vieles, langsam verloren. Ich wäre damals auch gerne einmal Klapper­vadder gewesen, aber leider kam es nie dazu.

Wenn ich an das Klappern in Hornau denke, fällt mir auch ein modernes Musikstück des Wien er Komponisten Alban Berg ein, in dessen Finale der Takt mit einem riesigen Holzhammer geschlagen wird. Dagegen waren unsere Klappern und Ratschen fast noch leise!

Es wurde nicht nur morgens um sechs Uhr geklappert, sondern wir Messdiener waren während der Kartage den ganzen Tag auf den Beinen. Das Klappern in aller Frühe kam natürlich bei vielen Hornauern nicht gut an, was für uns allerdings ein Anreiz war, noch mehr Lärm zu machen. Wir waren halt auch nicht nur Klapper-, sondern auch Lausbuben! Eine Hornauerin wehrte sich allerdings besonders energisch gegen die morgendliche Ruhestörung: Friedel Bender erzählte mir, dass in seiner Kindheit die „Wahner Sette“ den Inhalt ihres Nachttopfs über der Klappertruppe ausschüttete. Mittags hieß es „Es ist zwölf Uhr“, und wir Klapperbuben waren schon wieder auf Tour.

Der Hornauer Martin Pleines

Um die Hornauer zur Karfreitagsliturgie zu rufen, gab es den Spruch „Wir laden Euch zum Kreuzweg ein“, ich kenne allerdings aus meiner Erinnerung die Variante „Wir rufen Euch zum Gottesdienst“. Beim Feiern der Karfreitagsliturgie, die um 15.00 Uhr stattfand, herrschte in der neuen St. Martinskirche immer eine würdige, dem Karfreitag angemessene Atmosphäre. Ich durfte oft beim Karfreitags-­Gottes­dienst als Messdiener fungieren, und es war ein besonderes Erlebnis, wenn statt der Altarschellen in der Kirche die Klappern erklangen.

Abends um 18.00 Uhr drehten wir unsere letzte Runde mit dem Ausruf „Ave Maria“, und am Karsamstag Abend wurde noch der Spruch „Zum letzten Mal in diesem Jahr“ gesungen. Nicht nur „in diesem Jahr“, sondern für viele Jahre wurde der Brauch des Klapperns in Hornau dann nicht mehr gepflegt, bis in den 1980er-Jahren Jugendliche der Pfarrgemeinde St. Martin das Klappern wieder entdeckten, und diesmal auch Mädchen die Klapperrunden mitlaufen durften. Diese Wiederaufnahme war aber leider nicht von langer Dauer, und seitdem schweigen die Klappern und Ratschen wieder. Oder wird der Brauch des Klapperns doch noch einmal aufleben? Schön wäre es, und ich denke, dass einige Kinder vielleicht auch heute noch mit genau so viel Eifer bei der Sache wären wie wir damals. Aber leider fordert die Schule heute so viel von den Kindern, dass für eine Tradition wie das Klappern kaum noch Zeit bleibt.

 

Quellen:

Artikel „Wenn die Klappern die Glocken ersetzen“ (Höchster Kreisblatt vom 14.04.2001).
Artikel „Klappern vertreten die Glocken“ (Höchster Kreisblatt vom 01.04.2010).
Erinnerungsbuch „Der bunte Punkt“ von Reinhold Reuss, September 1998.

 

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